Willkommen

Liebe Leser,

seit ich 15 bin, denke ich darüber nach, in die Politik zu gehen. Seither hat sich Einiges geändert: Angela Merkel regiert mit außergewöhnlicher Größe und hat die Partei in einer Weise verändert und neu strukturiert, die niemand richtig erwartet hatte. Die SPD hat Wahlen in einer Weise verloren, die ich nie erwartet hätte. Anders als in anderen Ländern gibt es in Deutschland nicht nur eine große konservative und eine große progressive Partei, sondern auch eine grüne Partei.

Mein politisches Denken war immer mehr den Grünen als Partei, als Menschen, als Politiker, als Symbole und als politisch Erfindende verschrieben. Trotzdem bin ich eingetragener Sozialdemokrat und frage mich schon lange, welche Zukunft die großen Parteien in Deutschland haben. Ich bin heute 27 Jahre alt, die Entscheidung für eine politische Laufbahn ist fast unabänderlich geworden, ich habe viel gelesen, hatte eine Menge Zeit zum Nachdenken und habe heute einfach eine Menge Fragen.

Eine Wahl wie die Europawahl bringt mich wirklich durcheinander – fast wie die letzte Bundestagswahl. Vor allem habe ich mich immer gefragt, wie Menschen sich eigentlich auf das Wählen vorbereiten, was in ihnen vorgeht, die Zeit vor einer Wahl ist immer einzigartig, weil Menschen das ehrliche Bedürfnis haben, in sich zu gehen und ihre Stimme abzugeben. Gerade jetzt finde ich, dass man sich fragen sollte, wohin es als Politiker gehen sollte. War die Entscheidung für meine Partei richtig? War sie willkürlich, oder offensichtlich? Die Piraten sind mächtig geworden in einer Weise, die noch vor einigen Jahren unvorstellbar war – Denkzettel an die SPD, die CDU oder einfach nur ein salopper Fehler? Die Linke habe ich nie richtig verstanden, aber ich weiß, wie sie entstanden ist. Dann gibt es noch die AfD und die FDP.

Neben großen Parteien gibt es bei uns also auch kleine, und Schuld daran sind u.a. die Grünen. Ist das eine gute Idee? Ich habe realisiert, dass ich mich in einer Weise betroffen fühle, die vielleicht jeder nachvollziehen kann, der eine Lebensentscheidung trifft. Egal, was ich tue, ich trage die Konsequenzen. Großartige Politiker sind in Deutschland Parteienpolitiker, sie kennen die Schwächen und Stärken der Parteien, sie kennen eine Menge Personal, sie reden viel miteinander und denken in einer Weise über politische Philosophie nach, die eben sehr deutsch ist: Wir wollen immer alles wissen. Ich habe immer gedacht, wenn ich nicht bei der SPD wäre, wäre ich bei den Grünen. Aber das ist auch genau so gemeint, ich komme mit der Sozialdemokratie einfach nicht zurecht – ich finde sie stur, und unehrlich, ich finde sie natürlich auch historisch und ich finde es richtig, dass sie nicht immer einfach ist, weil Macht und Einfluss eben so ist, wie es ist. Die Grünen haben meine politische Philosophie dennoch in einer Weise geprägt wie nichts anderes.

Wenn ich mein Studium beende, was bald der Fall sein wird, muss ich mich entschieden haben. Diese Seiten nutze ich dazu, mich meiner Frage zu stellen: Welche Partei ist die richtige?
Ich gehe davon aus, dass ich, in dem Moment, in dem tatsächlich meine politische Arbeit beginnt, meine Entscheidung für den Wechsel zu den Grünen als Partei offensichtlich geworden ist, ich habe keine andere Wahl mehr. Es fühlt sich an wie die schwierigste Entscheidung meines Lebens.
Gerade die Auseinandersetzung mit Parteien hat einen außergewöhnlichen Reiz, man muss ich Politik in ihrer Vielfalt stellen. Meiner Ansicht nach gibt es drei Ebenen, die persönliche Ebene, die Frage danach, wie viel Geld man am Ende zur Verfügung hat usw., es gibt eine philosophische Ebene, wenn Entscheidungen mehr im historischen Gesamtzusammenhang getroffen werden und es gibt das praktische Problem, dass man Recht schaffen muss, dass also Gesetze geschaffen werden müssen, was Politik auch beschränken oder immer wesentlich prägen kann.

Deutschland ist in einer außergewöhnlichen Situation: Die reiche Kulturgeschichte, die besondere volkswirtschaftliche Konstitution, ein Land in der Mitte Europas, das weltweit ohne Vergleich ist. Ich denke immer eine Menge über Deutschland nach: Ich finde beispielsweise, dass deutsche Städte nicht schön genug sind, sie sollten einfach wirklich toll sein. In Städten in Deutschland spazieren zu gehen hat mich immer mit Stolz, mit Bewunderung, mit Ehrfurcht, mit historischer Neugier, mit Spaß und einfach mit Freude erfüllt. Diese Städte haben eine eigene Identität, sie sind berühmt, es gibt Geschichten über sie, und immer wieder werden sie Teil der Geschichte. Trotzdem fragt man sich manchmal, warum auch in der Bahn gebettelt wird, warum mitten in der Stadt Landstreicher ihr Unwesen treiben, oder warum gerade der Stadtkern irgendwie verschandelt ist. Manchmal denke ich, dass man sich in Deutschland noch immer für seine großen Stärken schämt: Wir sind das Volk, wir sind nicht nur das Volk, wir sind ein Volk mit großem Vertrauen in sich selbst, in seine Zukunft, und seine Möglichkeiten. Meiner Meinung nach sollte man sich in Deutschland auch nicht mehr für die Diskussion um das Judentum und seine Beziehung zur deutschen Geschichte schämen, man sollte der Diskussion mit Achtung und Respekt, mit Höflichkeit vielleicht noch, vor allem aber auch mit dem gegebenen Abstand begegnen. Niemand kann den Faschismus vergessen – wie auch? Offene Frage: Ist er wirklich Anlass, noch heute dem seltsamen Gefühl begegnen zu müssen, Deutscher zu sein?

Politik ist in einer Weise Teil meines Lebens geworden, die ich nie vergessen werde. Die Auseinandersetzung hat mich unheimlich geprägt, sie ist außergewöhnlich anstrengend, sie ist außerordentlich bereichernd, sie ist manchmal aber auch einfach schwierig zu erklären: Menschen fällt es einfach schwer über Politik zu diskutieren. Die Offenheit und Aufgeschlossenheit dafür habe ich aber immer wieder erlebt, und so oft, dass ich das Wort Politikverdrossenheit nie richtig verstanden habe. Es gibt auch andere Dinge, deren Verständnis mir fremd ist – ich verstehe zum Beispiel nicht immer, was es mit Wahlbeteiligung auf sich hat, ich weiß nicht, wie klar Menschen ist, wie viel sie bewegen, in dem sie nicht wählen gehen. Ich finde, dass immer jeder wählen gehen sollte, und ich denke, vor einer Wahl durchleben Menschen Zeiten der Vorbereitung, die sie ganz besonders prägt. Ich mag es auch einfach, wenn vor der Kanzlerinnenwahl den ganzen Tag über die Beschäftigung mit Politik, mit gesellschaftlichen Fragestellungen und auch tatsächlich mit philosophischen Problemen (und Lösungen) alltäglich geworden ist.

Ich werde noch eine Menge Zeit brauchen, um mich meinen Fragen zu stellen. Anstatt im Verborgenen zu diskutieren, wünsche ich mir eine offene Diskussion. Durch das Schreiben habe ich einen Grund, über viele Fragen nachzudenken: Jede Woche, vielleicht sogar jeden Tag. Ich kenne viele Themen nicht richtig, ich frage mich manchmal, wie man wirklich Politiker wird, weil man so sehr auf einzelne Ansichten festgelegt wird, dass manche Diskussion nicht nur mühsam, sondern wirklich belastend sind. Auf der anderen Seite ist die Debatte über einzelne Punkte natürlich richtig.
Manche besondere Einträge zu verschiedenen Fragen stelle ich in einem Archiv einzeln vor.
Ich finde außerdem immer, dass Menschen sich viel zu selten Bücher empfehlen. Ich lese eben gern und mir haben Buchempfehlungen in einer Weise weitergeholfen, die ich nie vergessen werde. Daher stelle ich auch eine Leseliste vor, die neben politischen Themen auch andere Bereiche einschließt.

Ingmar Wenz