Zum Brexit habe ich hier noch gar nichts geschrieben, obwohl ich zu anderen Themen, die aktuell waren, durchaus eine Meinung geäußert habe, oder zumindest versucht habe, sie zu ergründen und zu erläutern.
Es stehen sich viele Ideen und Gedanken gegenüber. Die Brexit-Befürworter waren also so stark, dass sie argumentierten, sie könnten eine Mehrheit auf ihre Seite ziehen, würde es tatsächlich ein Referendum geben. Deswegen wurde ein Volksentscheid genehmigt und heute steht die Wahl und Entscheidung an. Endgültig soll es das Ergebnis erst gegen 8 Uhr morgiger Zeit geben – dann sitze ich schon in der Bahn und bin auf dem Weg zur Arbeit. Also wird man morgen wissen, wie sie sich entschieden haben. Warum so ein Entscheid schwieriger auszuzählen sein soll als eine Wahl, ist mir etwas schleierhaft, vermutlich wird eben nicht der selbe Aufwand betrieben, weil es sich eben nur um ein Referendum handelt. Dennoch steht eine Menge auf dem Spiel.
Was ich an der Diskussion um den Brexit vor allem vermisse, ist die Tatsache, dass es sich bei der EU um eine kulturelle Union handelt, um es einmal so zu nennen. Entstanden ist die EU aus einer Wirtschaftsunion, das mag sein, aus dem Gedanken einer zollfreien Welt, in der ein gemeinsamer Qualitätsraum die jeweils besten Güter auf den Märkten reüssieren lässt. Die Brexit-Gegner argumentieren heute vor allem, dass die EU sich unsinnig in ihr Leben einmischen würde, zu schwer zu reformieren sei, sie sei ein weit entferntes Konstrukt in jeder Hinsicht, das zu einer Bürde des täglichen Lebens geworden wäre. Die EU sei unflexibel und starr und das Vereinigte Königreich hätte keinen großen Nutzen davon gezogen. So wurde das Ganze zu einer Wirtschafts-Diskussion auf beiden Seiten, mit der einhelligen Ansicht der Wirtschafts-Bewertungs-Institute und Politiker und der Wirtschaft auf der einen Seite, dass das UK durch die EU sehr profitieren würde und die gemeinsame Wirtschafts-Politik gut funktioniere.
Geht es nur um Geld und um die Wirtschaft? Es geht um ein Gefühl Europa, um die Frage, inwiefern sich alle Nationen miteinander verbunden fühlen, so sehen es viele junge Leute, für sie ist die Europäische Union mehr als die Summe ihrer Normen und Gesetze, nämlich das große Symbol, ein geeintes und friedvolles Europa geschaffen zu haben. Die Europäer ist die erste Ethnie der Weltgeschichte, die es geschafft hat, den Krieg innerhalb und außerhalb ihrer Grenzen abzuschaffen, wir sind vollkommen befriedet (und hätten sogar Armeen, um uns zu verteidigen, oder um Ländern anderer Teilen der Welt zu helfen). Ein Europäer ist ein Mensch, der auch mal wie ein Brite denkt, wie mit Hilfe deren besonderen Humors, der mal so sein kann wie ein Spanier, der in allen diesen Ländern Urlaub macht und viele Sprachen spricht, der mal ein Auslandsjahr in diesen Ländern verbracht hat und vielleicht sogar Freundschaften mit diesen Ländern schließt. Für mich war Europa immer vor allem das, eine kulturelle Errungenschaft – eine „menschheitsgeschichtliche Errungenschaft“, hat Helmut Schmidt immer gesagt.
Die Breit-Lager haben in der Diskussion das direkt Diskutierbare genommen und wie Politiker über etwas diskutiert, das in der Summe einen Wert erzeugt, der größer ist als die Summe ihrer Teile. Die EU einzugrenzen, ihre Gründungspartner, wie die Briten, daran zweifeln zu lassen, ist ein Fehler, der weit über wirtschaftliche Interessen hinaus geht, es ist ein kulturelles Symbol gegen unsere größten Erfolge, es wäre kein Zeugnis unserer Menschenfreundlichkeit, mehr unserer Ausländerfeindlichkeit, kein Zeugnis unserer Moderne, sondern ein Beispiel unserer Fehler im Umgang mit den neuen Möglichkeiten, die die Gegenwart plötzlich bietet – und die es so in Europa noch nie gegeben hat.