Die Türkei

Ich denke, es ist Zeit, zu dem Putschversuch in der Türkei Stellung zu beziehen. Verändert sich jetzt wirklich etwas? Wenn man in den Medien mitliest, sieht es fast so aus, als wären es nur einige Schlagzeilen, einige Opfer, nichts so Großes oder Wichtiges – und doch fragt man sich, was man zwischen den Zeilen lesen sollte. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, aber letztlich läuft es auf das immer selbe hinaus – das hier könnte der Anfang vom Ende der Erdogan-Türkei sein.

Erdogan wurde eigentlich demokratisch gewählt, immer wieder, in freien Wahlen, und doch gibt es viele Kritiker innerhalb und außerhalb der Türkei, die die Diktatur-ähnlichen Zustände zweifelhaft und vorsichtig sehen. Der Putsch ist das erste große öffentliche Anzeichen dafür, dass die Türken selbst gegen die türkische Politik sind, und viele von ihnen. Man kann rückwärts gehen und es aufzählen: 3000 Richter sind offenbar dagegen, also 20% aller Richter, die überhaupt beschäftigt sind, außerdem weite Teile des Militärs, darunter erfahrene Generäle, viele Journalisten, offenbar ließen sich unmittelbar 6000 Menschen ausmachen, die den Putsch unterstützt haben, alle wurden festgenommen.

Vielleicht funktioneren heute keine Putsche mehr in der Türkei – das wäre Zeichen einer modernen, soliden und stabilen Nation, die nicht unter der Knute des Militärs leben möchte. Das wäre ein gutes Zeichen, nachdem das Militär bereits mehrmals regiert hat und das Land immer wieder regenerieren musse und aufatmete, als die Zeit vorbei war. Nicht zuletzt ist Erdogan eigentlich der Beginn einer neuen Zeit gewesen, nachdem damals die letzte Militär-Herrschaft endete.

Dennoch ist eben der Putsch an sich interessant. Was, wenn sich jetzt etwas ändert? Erdogan ist unruhig und beschließt erstmal in unglaublicher Geschwindigkeit Maßnahmen, deren rechtliche Richtigkeit so gar nicht so leicht angenommen werden kann. Er beschuldigt Feinde, setzt Menschen aus ihren Positionen ab, gibt ab, spielt sich auf – und noch immer steht nicht fest, ob die Putschisten ihn eigentlich einfach umbringen wollten und ob wir gerade einem Präsidenten zuhören, der am Rande des Todes stand. Der Putsch könnte doch auch einen großen Neuanfang bedeuten. Was ist mit der Kritik, die an den derzeitigen Zuständen damit geäußert wird? Was hat man unter Erdogan wirklich erlebt? Wie gut hat die Demokratie funktioniert? Wie sehr haben die Türken verstanden, wie man Marktwirtschaft, soziale Netze, philosophische Integrität und die Friedensbestrebungen des 20. Jahrhunderts tatsächlich auslegen sollte? Wie viel ist nach oben offen?

In der Türkei bräuchte es moderene politische Führer, auch, wenn sich die Türken das offenbar etwas anders vorstellen. Erstmal hat Erdogan eben eine stabile Wirtschaft vorgestellt, geringere Arbeitslosigkeit, mehr Auslandsinvestitionen, größere wirtschaftliche Verknüpfung und Zusammenarbeit mit anderen Ländern – an allen diesen Stellen konnte es Verbesserungen geben und die gab es. Doch gleichzeitig ist man Politiker auf vielen anderen Feldern. Die Todesstrafe wurde abgeschafft, offenbar aber nicht so endültig, dass man sie nicht wieder aus der Schublade holen kann, wenn man sie „braucht“. Die Türken brauchen sicher Politiker, denen sie vertrauen und die sie verstehen. Historisch gesehen sind das vielleicht eher politische Führer, die auch charismatisch sein können, nicht so argumentativ überzeugen, sondern auch einfach durch intensive Religiösität – wir stellen uns klassische europäische Politiker vor, die dort an die Macht kommen sollten, aber das ist sicher ein Fehler. Zunächst einmal sieht in der Türkei alles anders aus als in Europa, die oberflächlichen Artefakte sind andere, so wäre also auch das Auftreten von so einem Politiker ein anderes. Dennoch wünscht man sich eine andere Art von Politiker an der Spitze, einer, der offenbar auch ein anderes Verhältnis zum Militär pflegt und für eine modernere, weltoffenere Türkei steht. Man muss immer berücksichtigen, dass schnelle Veränderungen über Nacht selten möglich sind. Doch Atatürk zeigte, dass die Türken Veränderungen durchaus verstehen, sie nehmen sie auch an, akzeptieren sie, internalisieren sie, verändern ihre Kultur entsprechend, aber der Lernprozess ist nicht immer einfach. Die Geschichte zeigt eben eine ganz andere Geschichte als in Europa. Der Islam hat noch nie einfach „unsere Werte“ angenommen, es gab immer eine Umwandlung in diese ganz andere Sprache dieser Menschen und so muss es auch diesmal sein.

Der Brexit

Zum Brexit habe ich hier noch gar nichts geschrieben, obwohl ich zu anderen Themen, die aktuell waren, durchaus eine Meinung geäußert habe, oder zumindest versucht habe, sie zu ergründen und zu erläutern.

Es stehen sich viele Ideen und Gedanken gegenüber. Die Brexit-Befürworter waren also so stark, dass sie argumentierten, sie könnten eine Mehrheit auf ihre Seite ziehen, würde es tatsächlich ein Referendum geben. Deswegen wurde ein Volksentscheid genehmigt und heute steht die Wahl und Entscheidung an. Endgültig soll es das Ergebnis erst gegen 8 Uhr morgiger Zeit geben – dann sitze ich schon in der Bahn und bin auf dem Weg zur Arbeit. Also wird man morgen wissen, wie sie sich entschieden haben. Warum so ein Entscheid schwieriger auszuzählen sein soll als eine Wahl, ist mir etwas schleierhaft, vermutlich wird eben nicht der selbe Aufwand betrieben, weil es sich eben nur um ein Referendum handelt. Dennoch steht eine Menge auf dem Spiel.

Was ich an der Diskussion um den Brexit vor allem vermisse, ist die Tatsache, dass es sich bei der EU um eine kulturelle Union handelt, um es einmal so zu nennen. Entstanden ist die EU aus einer Wirtschaftsunion, das mag sein, aus dem Gedanken einer zollfreien Welt, in der ein gemeinsamer Qualitätsraum die jeweils besten Güter auf den Märkten reüssieren lässt. Die Brexit-Gegner argumentieren heute vor allem, dass die EU sich unsinnig in ihr Leben einmischen würde, zu schwer zu reformieren sei, sie sei ein weit entferntes Konstrukt in jeder Hinsicht, das zu einer Bürde des täglichen Lebens geworden wäre. Die EU sei unflexibel und starr und das Vereinigte Königreich hätte keinen großen Nutzen davon gezogen. So wurde das Ganze zu einer Wirtschafts-Diskussion auf beiden Seiten, mit der einhelligen Ansicht der Wirtschafts-Bewertungs-Institute und Politiker und der Wirtschaft auf der einen Seite, dass das UK durch die EU sehr profitieren würde und die gemeinsame Wirtschafts-Politik gut funktioniere.

Geht es nur um Geld und um die Wirtschaft? Es geht um ein Gefühl Europa, um die Frage, inwiefern sich alle Nationen miteinander verbunden fühlen, so sehen es viele junge Leute, für sie ist die Europäische Union mehr als die Summe ihrer Normen und Gesetze, nämlich das große Symbol, ein geeintes und friedvolles Europa geschaffen zu haben. Die Europäer ist die erste Ethnie der Weltgeschichte, die es geschafft hat, den Krieg innerhalb und außerhalb ihrer Grenzen abzuschaffen, wir sind vollkommen befriedet (und hätten sogar Armeen, um uns zu verteidigen, oder um Ländern anderer Teilen der Welt zu helfen). Ein Europäer ist ein Mensch, der auch mal wie ein Brite denkt, wie mit Hilfe deren besonderen Humors, der mal so sein kann wie ein Spanier, der in allen diesen Ländern Urlaub macht und viele Sprachen spricht, der mal ein Auslandsjahr in diesen Ländern verbracht hat und vielleicht sogar Freundschaften mit diesen Ländern schließt. Für mich war Europa immer vor allem das, eine kulturelle Errungenschaft – eine „menschheitsgeschichtliche Errungenschaft“, hat Helmut Schmidt immer gesagt.

Die Breit-Lager haben in der Diskussion das direkt Diskutierbare genommen und wie Politiker über etwas diskutiert, das in der Summe einen Wert erzeugt, der größer ist als die Summe ihrer Teile. Die EU einzugrenzen, ihre Gründungspartner, wie die Briten, daran zweifeln zu lassen, ist ein Fehler, der weit über wirtschaftliche Interessen hinaus geht, es ist ein kulturelles Symbol gegen unsere größten Erfolge, es wäre kein Zeugnis unserer Menschenfreundlichkeit, mehr unserer Ausländerfeindlichkeit, kein Zeugnis unserer Moderne, sondern ein Beispiel unserer Fehler im Umgang mit den neuen Möglichkeiten, die die Gegenwart plötzlich bietet – und die es so in Europa noch nie gegeben hat.

Angela Merkel

Eine E-Mail von meiner Mutter hat mich darauf gebracht, mal etwas über Angela Merkel zu schreiben. Ich bin ein Fan, bin kein Fan, bin überrascht, das in jedem Fall; für jemanden, der sich intensiv mit Politik beschäftigt, jedenfalls eine gute Frage, inwiefern man sich für das aktuelle Staatsoberhaupt erwärmen kann, gerade, wo es jemand von der CDU ist, und ich bin so gar nicht mit einer CDU-nahen Einstellung aufgewachsen.

Ich habe damals erstmal angefangen, mich ein bisschen mit ihr zu beschäftigen, das war zu Beginn ihrer Amtszeit. Da hatte ich noch nicht so viel mit Politik zu tun, aber es war ja mal ganz interessant. Damals war noch die Zeit, in der sie erstmal auftreten lernen musste und angefangen hat, sich anders zu kleiden und viel präsenter in der Öffentlichkeit zu sein. Sie galt als Enkel Helmut Kohls und alle haben erstmal behauptet, sie würde keine Politik mit einer sehr eigenen Handschrift machen, oder, dass sie eben vor anderen Staatsführern kuschen würde, wie bei dem Besuch von George W. Bush noch vor Beginn ihrer Amtszeit. Nach der Wahl von Obama 2008, als mein politisches Interesse nochmal einen Sprung gemacht hat, habe ich nochmal genauer hingesehen und erstmal anerkannt, dass sie also genauso Politik macht wie jeder andere Staatsführer auch und erstmal dem Tagesgeschäft verpflichtet ist, dass man alle Staatsführer gleich beurteilen und einfach über die Politik diskutieren kann, unabhängig von der Partei. Damals habe ich mir erstmal bewusst gemacht, dass sie aus der DDR kommt, sich in der Partei hochgedient hat, dass sie als Frau eine besondere Rolle einnimmt und schon kam die Finanzkrise und Angela Merkel brillierte als Europa-Politikerin inmitten der vielen Länder, als Schlichterin und als Diskutierende zwischen so zerstrittenen und uneinigen oder einfach so verschiedenen Ländern. Damals hat man gemerkt, wie eigensinnig sie ist, finde ich, da konnte sie zum ersten Mal ihre Stärken ausspielen und zeigen, dass sie immer eine eigene Handschrift hatte. Sie ist eine richtige Europäerin, die an Europa glaubte, die Stärken Europas hervorbrachte und in den vielen Diskussionen half. Es hieß in den Vorwürfen, sie hätte sich zu sehr auf den kleinsten gemeinsamen Nenner geeinigt, sie hätte viel mehr tun können usw. Ich weiß nicht, ob das die Wahrheit ist, und ob Gerhard Schröder etwa diese Krise genauso gemeistert hätte.

Das ist eben der Unterschied zwischen Progressiven und Konservativen, sagt Barack Obama, so wie ich ihn verstehe, die Progressiven initiieren neue politische Projekte und suchen die Veränderung, die Konservativen gehen anders damit um und sagen, dass die Veränderung schon von selbst kommt, es sei anspruchsvoll genug, Politik einfach zu begleiten. Angela Merkel begleitet dauernd, andere Politiker, andere Institutionen, andere Länder, es ist eine andere Vorstellung von Politik. Wenn man jung und unvoreingenommen ist, darf man fragen, ob etwas daran falsch ist, nur weil sie anderer Meinung ist. Dazu gleich mehr. In der Finanzkrise hat man es jedenfalls gut genug gesehen, dass sie bereits schlichtend aufgetreten ist und die Veränderung nahm, wie sie kam. Welche Wahl hatte sie schon?

Jetzt sind es 12 ganze Jahre, in denen sie Politik gemacht hat und so langsam kann man also andere Urteile aussprechen und Fragen stellen. Das Begleiten zieht sich wie eine Linie durch die Jahre, aber die Frage nach dem Willen zur Veränderung sollte noch öfter aufkommen. Ein anderes Beispiel sind die Kernkraftwerke. Angela Merkel sei einmal sehr grün gewesen, sagt meine Mutter. Aber anstatt sich bei den Alternativen mehr oder weniger zu verzetteln, ist sie den geraden Weg zu Macht und Einfluss und viel reeller Politik gegangen und hat sich durchgesetzt. Von den Grünen wusste sie, dass da ewig Warnende und Mahnende waren, die schon immer Angst vor AKWs gehabt haben. Sie hatte das alles ignoriert und war aus dem Atomausstieg wieder ausgestiegen, aber das war eben die Parteilinie. Die Atom-Lobby war stark, die Argumente sind ja nicht falsch, dass die deutschen Atomkraftwerke sehr sicher sein dürften, so gut wie unsere Ingenieure sind und dass ein Teil der Energieversorgung so nun einmal sicher gestellt ist. Nach Fukushima hörte sie auf die langen Warnungen der Grünen und änderte ihre Politik, die deutschen AKWs sind heute fast alle aus, in ein paar Jahren endet die Laufzeit der letzten deutschen Meiler. Sie hat die Veränderungen eben mal wieder begleitet, ihr politisches Wissen ausgespielt, sich als Deutsche benommen, die mit gutem Beispiel vorangeht.

So geht es weiter… Abgesehen davon, deutsche Gedanken im Zuge der Finanzkrise durch Europa zu verteilen, war das innerdeutsche Management der Krise recht stark. Die Deutschen haben auf die Empfehlungen der Amerikaner gehört und viel Geld investiert, es gab mehrere Investitionspakete, außerdem mussten auch in Deutschland Unternehmen gerettet und unterstützt werden. Die Arbeitslosigkeit ist in Deutschland nicht in die Höhe geschnellt, sie ist heute auf einem 20-Jahres-Tief. An dieser Stelle sei vermerkt, dass – ich denke, einfach probeweise – unter Merkel eben versucht wurde, einen ausgeglichenen Haushalt zu schaffen, ohne Neuverschuldung. Auch das ist gelungen, es wurde vernünftig investiert, mit viel Sorgfalt und der Haushaltsdisziplin der Konservativen und schon macht Deutschland Überschüsse, die in der Flüchtlingskrise gut zu gebrauchen sind.

Als letztes ist eben die Flüchtlingskrise zu nennen und hierfür wurde sie viel gelobt, auch wenn sie zugibt, dass die Entscheidung eine Menge Schwierigkeiten bietet. So macht sie aus Deutschland ein kleines Einwanderungsland, vielleicht nicht gerade die nachgesagten „europäischen USA“, wohl aber ein Land mit geringer Ausländerfeindlichkeit und großer Akzeptanz fremder Herkunft, Kultur, Sprache und Religion.

Im Übrigen gibt es viele besondere Geschichten, und man kann der CDU bei inneren Reformen zusehen, Roland Koch ist nicht mehr so aktiv und auch andere Politiker, denen das SPD-Lager Hau-Ruck-Politik nachsagte, sind nicht mehr so sehr in der CDU präsent. Es wurde viel gesagt, auch, dass Angela Merkel alle anderen Kanzlerkandidaten systematisch ausgeschaltet hätte, so hätten die Basta-Menschen die CDU verlassen. Da steckt viel Parteienpolitik und Machtgehabe dahinter und man kann hinterfragen, inwiefern das wirklich wahr ist. Jedenfalls hat sie Christian Wulff als Präsidenten nominiert, niemanden sonst, und ihn so ausgezeichnet. Heute versteht sie sich mit Gauck recht gut. Sie hat mit Guttenberg und Kristina Schröder auch jüngere Politiker unterstützt. Sie unterstützt Ursula von der Leyen, die immer so viel bewegt wie sie kann und offenbar unter den Ministerien fast jedes Amt zu versehen in der Lage ist. Sie steht natürlich für ein neues Frauenbild in der CDU. Ich finde, man merkt nicht unbedingt, dass sie aus dem Osten kommt. Sie ist rebellisch und unparteiisch, analytisch und klug, sie steht über den Dingen und ist direkt und stark, das Auftreten ist geschickt, die Rhetorik ist oft scharf, etwas zurückhaltend vielleicht. Sie weiß die Partei hinter sich zu einigen und hat sie nicht gegen sich aufgebracht. Für das Verschwinden der FDP ist sie nicht verantwortlich, eher für deren Unterstützung.

Ich dachte immer, in einer Demokratie wechseln sich progressiv und konservativ nun einmal ab, einige Jahre so, dann wieder so, aus vielen Gründen. Grundsätzlich müssen die gemachten Veränderungen, wie die Agenda 2010 unter Schröder, oder seine neuen Ansätze in der Außenpolitik wie das „Nein“ zum Irakkrieg erst einmal wirken. In der Zeit, die dann kommt, wird die Politik eben konservativ, Politik ohne Veränderungen gibt es sowieso nicht. Im Übrigen stehen die Konservativen eben für ihre Disziplin, was in Haushaltsfragen oder im Umgang mit Menschen wirklich sehr angenehm sein kann.

Wenn man Barack Obamas Gedanken richtig auslegt, denkt man viel über Überparteilichkeit nach und fragt, was eigentlich dagegen spricht. Im ersten Schritt bedeutet es wohl immer, eine reelle, realpolitische Auseinandersetzung mit der anderen Partei, ein Annehmen der Menschen als Menschen, ein Zurückstecken der eigenen Meinungen und ein echtes Betrachten der Ereignisse, die sich dann abspielen. Das ist schon möglich, aber es ist auch neu.

https://youtu.be/WfM0LohK5LQ

Nochmal zu den Flüchtlingen

Ich habe eine Weile Zeit gehabt, über das Flüchtlinge-Thema nachzudenken. Dieser Blog beginnt mit einem Beitrag zum Thema „Flüchtlinge“ und gerade steht das Thema eben wieder an, es gibt eine Menge Neuigkeiten seither und viele politische Veränderungen, ich hatte eine Weile Zeit zum Nachdenken – gestern wurde das neue „Integrationsgesetz“ verabschiedet, das als historisch gilt. Es gibt also eine Menge zu diskutieren…

Es sind jetzt über eine Million Flüchtlinge im Land, mittlerweile sind die Statistiken da und man kann sich recht sicher sein. Es kommen nach wie vor neue hinzu, aber nicht mehr so viele wie in den Stoßzeiten im letzten Jahr. Haben wir jetzt eine Million neuer Deutsche im Land? Es stimmt, dass man sagt, dass viele Leute gar nicht hier bleiben wollen, sondern lieber zurück in ihr Land gehen würden, aber letztlich weiß man aus der Erfahrung im Umgang mit Einwanderern, dass sie meistens bleiben. Deren Kinder lernen üblicherweise schnell und fließend deutsch und werden also in den nächsten Jahrzehnten einfach ein Teil unserer Nation werden. Es gibt eine Menge Ängste und Ideen – wie sehr sich das alles auf die Arbeitslosenstatistik auswirkt, ob es Sinn macht, neue Ein-Euro-Jobs einzuführen usw. -, aber im Großen und Ganzen sind sich alle einig, dass ein großer Schritt getan ist und man sehen muss, wie es weiter geht.

Zur AfD… Ich finde die AfD als Phänomen auch spannend, rein aus interessierter Sicht sagt sie nun einmal etwas über unsere Kultur aus, über die Welt, in der wir leben, die Denkweise der Menschen. Als Angela Merkel die Flüchtlinge willkommen hieß, wusste sie sicher genau, dass es in Deutschland Fremdenfeindlichkeit gibt. Das ist nichts neues. Das ist etwas, worüber wir als Gesellschaft nie überein gekommen sind. Ausländer sind nicht so leicht zu akzeptieren und gerade, wenn der Kulturkreis ein anderer ist, wie in den orientalischen Ländern, steht man eben ganz anderen Bedingungen, Gewohnheiten, Alltäglichkeiten und Grundsätzlichkeiten gegenüber, die nie einfach anzunehmen sind. Das ist bekannt und Angela Merkel stellte sich also nicht nur gegen die Unentschiedenheit in der Union, wenn es um die Aufnahme der Flüchtlinge ging, sondern auch gegen den Fremdenhass in der Bevölkerung.

Das ist eben die große Frage, die man zu einem Moment stellen muss. Ob wir uns als Menschen einfach ändern müssen, wenn wir die Flüchtlinge aufnehmen wollen, ob wir und jeder einzelne von uns an seinem wunden Punkt angegriffen wird und für sich hinterfragen muss, ob es nicht Sinn ergibt, die eigenen Haltungen zu überdenken und Ausländern künftig viel freundlicher und deutlicher und offener gegenüber zu stehen. Angela Merkel, die dieses Land auch moralisch führt, menschlich führt, dachte darüber nach und entschied eben, dass es wert wäre, die Auseinandersetzung mit denjenigen in der Bevölkerung aufzunehmen, die keine klare Haltung haben und sich bessern könnten. Das Ganze entlädt sich plötzlich in den Wahlen der AfD, überhaupt einer neuen Partei, die eigentlich mit einer Wirtschaftshaltung groß wurde und noch gänzlich neu im Fünf-Parteien-Spektrum ist. Menschen wählen AfD, weil sie tatsächlich davon überzeugt sind, ihre Meinung sagen zu müssen, aber vielleicht auch, weil sie wissen, dass sie damit gegen eine Wand fahren.

Eine Partei zu wählen, ohne Programm, ohne Persönlichkeiten, ohne Überzeugungen, mit einer jetzt schon unsoliden Geschichte – eine weitere Partei hat sich abgespalten -, ist nicht so einfach, wie man denkt. Nach den Wahlen sitzen die Wähler genauso zu Hause und fragen sich, was die Politiker jetzt mit ihrer Wahl machen, was andere davon halten und ob sie die Konsequenzen dieser Entscheidung tatsächlich tragen können. Es ist eben ein Versuch – rein politisch bewältigen Deutsche so ihren Fremdenhass und zwingen sich zur Auseinandersetzung mit Fragen, die schwer zu beantworten sind und mit Grenzen, die schwer zu überwinden sind. Aber wir sind alle Menschen und diesmal verlangt die Flüchtlingsfrage eben Entsprechendes von uns ab – die Änderung.

Das letzte, was mir aufgefallen ist, ist schon die Frage, wer sich mit den Flüchtlinge eigentlich beschäftigt, wen es betrifft. Es stimmt, das Bamf steht jetzt im Mittelpunkt der Debatte, das Amt, das die Anträge behandelt und entscheidet, wer da bleibt. Unterm Strich sollen die Leute ja da bleiben und nur die Extremfälle sollen wieder zurückgeführt werden. Die ganze Geschichte dieser Frage beginnt am Beginn des Flüchtlingsstroms letztes Jahr. Damals wird sich schon Angela Merkel gedacht haben, na Obama, wer trägt jetzt die Konsequenzen der verqueren Syrien-Politik? Denn plötzlich standen die Menschen vor der Tür und suchten Hilfe und Unterstützung und was konnten wir schon tun, außer dem Grundgesetz und unseren Neigungen zu folgen und darauf zu hören. Die eigentlichen menschlichen Konsequenzen tragen also wir, in diesem Falle die Deutschen. Auch nicht die deutschen Politiker oder die Ämter, sondern letzten Endes sind es die Betreuer der Ein-Euro-Jobs, die Menschen bei der IHK, die Lehrer in den Schulen, die Nachbarn, die plötzlich mit Flüchtlingen als Nachbarn konfrontiert sind und sie einfach zum Nachbarschaftskreis einladen. Wir übernehmen Verantwortung – ob wir wollen oder nicht. Wir tragen einfach die Konsequenzen die ganz woanders und aus ganz komplexen Gründen heraus getroffen worden sind.